Trappist, Bestseller-Autor, Mystiker
Was ist für uns heute eigentlich interessant an Thomas Merton? An einem Mönch, der bereits seit 50 Jahren tot ist? Merton vereinte in sich auch gegensätzliche Facetten: Trappist und Bestseller-Autor, Mystiker und politischer Schriftsteller, Einsiedler und öffentliche Persönlichkeit. Dabei war er fest in seiner Beziehung zu Gott verankert. Mit seiner Autobiografie „Der Berg der sieben Stufen“, die vom „National Review“ zu den 100 wichtigsten Büchern des 20. Jahrhunderts gezählt wurde, löste er in Amerika einen Hype für das monastische Leben aus. Er publizierte zahlreiche Schriften zu den drängenden Fragen des 20. Jahrhunderts, die bis heute nichts an Aktualität verloren haben: Gerechtigkeit, Frieden und mehr Menschlichkeit.
Biografische Eckdaten
Hier kurz die biografischen Daten von Thomas Merton: Er wurde am 31. Januar 1915 in Prades/ Frankreich als erstes Kind von Ruth und Owen Merton, eines neuseeländischen Malers, geboren. Merton starb an einem Stromschlag am 17. Dezember 1968, als er als Gastredner in Bangkok/ Thailand an einem Kongress über Zen teilnahm. Begraben ist Merton im us-amerikanischen Trappistenkloster Abbey of Our Lady of Gethsemani, Kentucky, in das er im Dezember 1941 eintrat.
Mertons Jugend: zwischen Partys und Kino
Thomas Merton hatte eine schwere Kindheit. Mit gerade einmal sechs Jahren verlor er seine Mutter. Sie starb an Magenkrebs. Da sein Vater Maler und damit ständig unterwegs war, wuchs er – sowie sein kleiner Bruder John Paul – an unterschiedlichen Orten auf: bei seinen Großeltern auf Long Istland/USA sowie in britischen und französischen Internaten. Merton entwickelte kein Heimatgefühl, sondern fühlte sich oft allein. „Es ist fast unmöglich, aus dem beständigen Wechsel in unserem Leben und unseren Plänen während meiner Jugend einen Sinn herauszulesen“. Aber Merton verzweifelte nicht, genoss seine Freiheiten. „Menschen traten in unser Leben und gingen wieder. Ein stetes Auf und Ab. Ich ließ alles über mich ergehen. Weshalb musste gerade ich so leben? Mir kam es natürlich vor wie der Wetterumschwung und der Lauf der Jahreszeiten.“
1933 begann Merton in Cambridge zu studieren, zog später zu seinen Großeltern nach New York, wo er ab Winter 1935 an der Columbia-University Journalistik studierte. Er sympathisierte offen mit dem Kommunismus, feierte Partys, sah leidenschaftlich gerne Kinofilme und verstand sich eher als Atheist.
Merton in der Krise
Im Herbst 1936 starb Mertons Großvater, was ihn in eine tiefe, innere Krise stürzte. Damals ist Merton 21 Jahre alt. Er verspürte einen Überdruss an den weltlichen Vergnügen. „Was hätte schließlich mit mir geschehen können, wenn ich mich noch zäher an die Vergnügungen geklammert hätte, die mich anekelten, wenn ich mich nicht geschlagen gegeben hätte auf dieser sinnlosen Jagd nach Befriedigung an Orten , wo sie nicht zu finden war, und wenn meine sittliche und seelische Natur nicht zusammengebrochen wäre unterm Gewicht meiner eigenen Leere? Wer weiß, wo ich geendet hätte?“
Merton machte eine intellektuelle Kehrtwende. Über die mittelalterliche Philosophie nähert Merton sich dem christlichen Gottesbegriff und begann – obwohl Protestant –, sich für den Katholizismus zu interessieren. Am 16. November 1938 (zwei Monate vor seinem 24. Geburtstag) wurde er durch die Taufe in die römisch-katholische Kirche aufgenommen. Füt Merton begann die Suche nach einer spirituellen Heimat.
Er knüpfte Kontakte zu den Franziskanern, möchte in deren Kloster eintreten. Doch er wurde für zu unreif befunden, die Mönche nahmen ihn nicht auf. Daraufhin unterrichtete Merton für einige Zeit Englisch an der St. Bonaventure University, bevor er sich um Eintritt in den Trappistenkonvent nahe Louisville in Kentucky bewarb – und angenommen wurde.
Mertons Eintritt ins Kloster
Nur drei Jahre nach seiner Konversion zum katholischen Glauben trat Merton am 13. Dezember 1941 in die Trappistenabtei Our Lady of Gethsemani, Kentucky, ein. Trappisten sind Zisterzienser der strengeren Observanz. Der Orden (lat. Ordo Cisterciensis strictioris observantiae, Ordenskürzel OCSO oder Ordo Cisterciensium reformatorum, Ordenskürzel OCR) entstand 1892 durch Teilung des Zisterzienserordens.
Merton wählte den Orden nach einem „Gottesurteil“. Er berichtet: „Mitten in diesem Ringen kam mir plötzlich ein Gedanke, der beweist, wie wenig fortgeschritten im geistig-religiösen Leben noch war. Ich bat Gott, er möge mir zu erkennen geben, was ich zu tun hätte oder wo eine Lösung zu finden sei, indem er mir aus der Heiligen Schrift zeige. Ich ließ mich damit auf die alte Geschichte ein, bei der man die Bibel aufschlägt, den Finger blindlings auf die Seite legt und das Wort, das sich darunter befindet, für die Antwort auf die gestellte Frage hält. (…) Jedenfalls betete ich, schlug das Buch auf, legte den Finger entschlossen auf eine Stelle Seite und sagte mir: „Was es auch sei, das ist es.“ Ich schaute hinein, die Antwort erschlug mich fast. Die Worte lauteten: „Ecce reis tacens“. „Siehe, du sollst stumm werden.“
Merton hatte sehr idealistische Vorstellungen vom Klosterleben. Zu Beginn seines Aufenthaltes im Kloster genießt es Thomas Merton einfach, an einem Ort zu sein, an den, so schreibt er in einem Brief an seine Freunde, alles, was gut war, als er ein Kind war, zurückgebracht wurde. „Es ist sehr gut und schön, nur von Gott besetzt zu sein, einfach in seiner Gegenwart zu sitzen, und den Mund zu halten und allein durch die schlichte Tatsache, dass Gott es liebt, in deiner Seele zu sein, geheilt zu werden“, schreibt Merton. „Diese kontemplative Haltung bestimmt sein ganzes weiteres Leben als Mönch und zieht sich durch alle seine Veröffentlichungen durch. Da fühlt sich jemand auf eine letztlich unbeschreibbare Weise zutiefst angesprochen von Gott, erfährt seine heilige und heilende Präsenz und ist bereit, ihm allein zu dienen“, so Wunnibald Müller über ihn.
Merton wird Bestsellerautor
Merton ist 31 Jahre alt, als er auf Anraten seines Abtes Dom Frederic Dunne im Jahr 1946 seine Biographie „Der Berg der sieben Stufen“ (The Seven Storey Mountain) schreibt. Darin beschreibt er sein Leben und seine Bekehrung. Zwei Jahre später erscheint das Buch in den USA und wird zum internationalen Bestseller. „Merton hatte (…) die Gabe, auf dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen sowie seines theologischen Wissens und seines Allgemeinwissens zu schreiben. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten – er schrieb auch viele Gedichte und einen posthum veröffentlichten Roman – halfen ihm dabei. Dazu kam, dass er nach der Veröffentlichung seines Buches „Der Berg der sieben Stufen“ (1948), in dem er seine Bekehrung, seinen Klostereintritt beschreibt, in der westlichen Welt berühmt wurde.“ (Wunnibald Müller). Viele Jugendliche weltweit machen sich nach der Lektüre des Buches auf den Weg, um ins Kloster einzutreten.
Merton und die Mystik
Merton ist ein Gottsuchender, ein Mystiker. Doch was ist Mystik eigentlich? Merton definiert Mystik so: „Es geht hier darum, unser inneres Selbst zu wecken und dieses in Einklang mit dem Heiligen Geist zu bringen, sodass wir im Stande sind, unsere persönliche Antwort auf Seine Gnade zu geben“. Das Rückgebundensein an Gott, das ist Demut.
Gott ist immer gegenwärtig, wir leben in der Gegenwart Gottes. Im Tagesverlauf sollte man immer wieder zu Gott zurückkehren, sich Gottes Gegenwart bewusst machen. Damit knüpft Merton an eine lange Tradition der Mystiker an, beispielsweise im Mittelalter die Deutschen Tauler, Seuse und Eckhart. „Kontemplation ist ein Geschenk Gottes an die Seele, die er mit seiner eingegossenen Liebe geläutert hat: Plötzlich und auf unaussprechliche Weise lässt er sie seine Gegenwart in ihr erfahren“, so Merton.
Psalmen sind ein Weg zur Kontemplation
Aber: Gott ist und bleibt der Unbegreifliche. „Wir neigen ja immer dazu, uns ein Bild von Gott zu machen, das in unsere Vorstellungen passt. Aber Gott können wir nicht besitzen oder erkennen wie ein anderes Objekt; Ziel unseres Gebetes ist keine „Erkenntnis über Gott“, sondern vielmehr „erkennend zu erfahren, dass unser Wesen von seinem Wissen um uns und seiner Liebe für uns durchdrungen ist“. Der Jesuit Karl Rahner wird sagen: Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.
Psalmen sind der Weg zur Kontemplation. Das ist etwas typisch Monastisches. Psalmen sind die monastische Weise der Kontemplation, der monastischer Weg der Kontemplation. „Gott wird sich uns durch den Psalter schenken, wenn wir uns ihm bei unserem Rezitieren der Psalmen ohne Vorbehalt schenken“.
Merton beginnt den Dialog zwischen den Religionen
Für die damalige Zeit beginnt Merton etwas total Neues: den interreligiösen Dialog. Er schätzte die östlichen Religionen wert, achtete achtet Yoga als Meditationstechnik, wechselt aber nicht zum Buddhismus über. Merton baut vielmehr Brücken zwischen westlicher und östlicher Spiritualität.
Im Jahr 1968 durfte Merton das Kloster für längere Zeit verlassen, um in Bangkok an einer Konferenz asiatischer Mönche teilzunehmen, zu der er als Gastredner eingeladen war. In einer Reihe von Begegnungen, darunter unter anderem mehrere Gespräche mit dem Dalai Lama, erfuhr er eine starke Erweiterung seines Horizontes und zugleich eine innere Bestätigung seiner Erfahrungen und Reflexionen. Thomas Mertons Schaffen gilt als Bindeglied zwischen Buddhismus und Christentum.
Kontemplation und politisches Engagement
Aus der Kontemplation erwächst für Merton politisches Engagement. Kontemplation ist für Merton kein Rückzug von der Welt, sondern die Basis für die Anteilnahme und Hinwendung zu möglichen Lösung weltlicher Probleme. „Es gibt keine wahre Einsamkeit außer der inneren Einsamkeit. Und die innere Einsamkeit ist nicht möglich für jemanden, der nicht seinen ihm angemessenen Platz im Beziehungsgeflecht mit anderen Menschen einnimmt. Für den Menschen, der sich immer noch vorstellt, irgendein durch Talent, Gnade oder Tugend bedingter Zufall trenne ihn von den anderen Menschen und stelle ihn höher als diese, ist kein wahrer Friede möglich.“
Für Merton sind Nächstenliebe und Freiheit untrennbar. „Liebe muss frei sein. Nur Nächstenliebe ist vollkommen frei. Liebe liebt um des Liebens willen, nicht durch eine geringere Befriedigung angeregt. Nur in der Nächstenliebe, das heißt in der selbstlosen Liebe, lebt die Liebe ganz aus eigenem Antrieb.“ Deshalb verfasste Merton politische Schriften, beispielsweise „Keiner ist eine Insel“. In dem Buch setzt er sich für die Beendigung des Vietnamkriegs ein. Merton setzt sich gegen Atomwaffen und für die rechtliche Gleichstellung der Schwarzen ein. „Armut wird nie besiegt sein, solange jedermann Reichtümer, Ehren, Stellung, Ruhm oder Ansehen liebt.“
Das politische Engagement von Merton war nicht unumstritten. Ihm wurde vorgeworfen, einseitig zu argumentieren und einen unpopulären (d.h. für die USA schädlichen) Standpunkt zu vertreten, so bspw. gegen den Vietnamkrieg.
Kleine Schlussbemerkung
Thomas Merton vereinte in sich große Gegensätze: Als Trappist war ein gefragter Redner und Dozent, als Mönch lebte er nicht in der klösterlichen Gemeinschaft, sondern in seiner Klause. Das kam nicht bei jedem seiner Zeitgenossen gut an. Doch mit seiner Biographie begeisterte er viele jungen Menschen für einen Weg mit Gott. Merton entwickelte eine Spiritualität, die auch im 21. Jahrhundert noch ein Wegweiser für Gottessucher sein kann.
Mehr Inormationen zu Merton gibt es bei der Internationelen Thomas Merton Gesellschaft (International Thomas Merton Society, ITMS)